Vertrag des Freistaates Preußen mit dem Heiligen Stuhle nebst Schlussprotokoll [Preußenkonkordat] Vom 14.
Juni 1929 (Preußische Gesetzessammlung S. 152) Seine
Heiligkeit Papst Pius XI. und das Preußische Staatsministerium, die in dem
Wunsche einig sind, die Rechtslage der katholischen Kirche in Preußen den
veränderten Verhältnissen anzupassen, haben beschlossen, sie in einem
förmlichen Vertrag neu und dauernd zu ordnen. Zu
diesem Zwecke haben Seine Heiligkeit zu Ihrem Bevollmächtigten Seine
Exzellenz den Herrn Apostolischen Nuntius in Berlin und Erzbischof von Sardes
Dr. Eugen Pacelli und das Preußische Staatsministerium zu seinen
Bevollmächtigten den Herrn Preußischen Ministerpräsidenten Dr. Otto Braun,
den Herrn Preußischen Staatsminister und Minister für Wissenschaft, Kunst und
Volksbildung Professor D. Dr. Carl Heinrich Becker und den Herrn Preußischen
Staats- und Finanzminister Dr. Hermann Höpker Aschoff ernannt, die nach
Austausch ihrer für gut und richtig befundenen Vollmachten folgende
Bestimmungen vereinbart haben. Artikel 1 Der Freiheit des Bekenntnisses
und der Ausübung der katholischen Religion wird der Preußische Staat den
gesetzlichen Schutz gewähren. Artikel 2 (1) Die gegenwärtige
Diözesanorganisation und -zirkumskription der katholischen Kirche Preußens
bleibt bestehen, soweit sich nicht aus dem Folgenden Änderungen ergeben. (2) In
Aachen wird wieder ein Bischöflicher Stuhl errichtet und das Kollegial- in
ein Kathedralkapitel umgewandelt. Das Bistum Aachen wird den Regierungsbezirk
Aachen sowie die Kreise Grevenbroich, Gladbach, M. Gladbach, Rheydt, Krefeld
(Stadt und Land) und Kempen umfassen und der Kölner Kirchenprovinz angehören.
(3) Dem
Bistum Osnabrück werden die bisher von seinem Bischof verwalteten
Missionsgebiete einverleibt. Es wird in Zukunft Suffraganbistum des
Metropoliten von Köln sein. (4) Dem
Bischöflichen Stuhle zu Paderborn wird der Metropolitancharakter verliehen;
das dortige Kathedralkapitel wird Metropolitankapitel. Zur Paderborner
Kirchenprovinz werden außer dem Erzbistum Paderborn die Bistümer Hildesheim
und Fulda gehören. An die Diözese Fulda tritt die Paderborner die Bezirke
ihres Kommissariats Heiligenstadt und ihres Dekanats Erfurt ab. (5) Das
Bistum Fulda überläßt den Kreis Grafschaft Schaumburg dem Bistum Hildesheim
und den bisher ihm zugehörigen Teil der Stadt Frankfurt dem Bistum Limburg.
Wie Fulda so wird auch dieses aus seinem bisherigen Metropolitanverband
gelöst, aber der Kölner Kirchenprovinz angegliedert. (6) Der
Bischöfliche Stuhl von Breslau wird zum Sitze eines Metropoliten, das
Breslauer Kathedral- zum Metropolitankapitel erhoben. Der bisher dem Bischof
von Breslau mitunterstehende Delegaturbezirk Berlin wird selbständiges
Bistum, dessen Bischof und Kathedralkapitel bei St. Hedwig in Berlin ihren
Sitz nehmen. In Schneidemühl wird für die derzeit von einem Apostolischen
Administrator verwalteten westlichen Restgebiete des Erzbistums
(Gnesen-)Posen und des Bistum Kulm eine Praelatura nullius errichtet. Das zur
Zeit vom Bischof von Ermland als Apostolischem Administrator mitverwaltete,
früher zur Diözese Kulm gehörige Gebiet von Pomesanien wird mit dem Bistum
Ermland vereinigt. Die Bistümer Ermland und Berlin und die Prälatur
Schneidemühl werden zusammen mit dem Erzbistum Breslau die Breslauer
Kirchenprovinz bilden. (7) Das
Kathedralkapitel in Aachen wird aus dem Propste, sechs residierenden und vier
nichtresidierenden Kapitularen und sechs Vikaren, das Kathedralkapitel in
Berlin aus dem Propste, fünf residierenden und einem nichtresidierenden
Kapitular und vier Vikaren, das Kathedralkapitel in Frauenburg in Zukunft aus
dem Propste, dem Dechanten, sechs residierenden und vier nichtresidierenden
Kaptiularen und vier Vikaren bestehen. Im Metropolitankapitel von Breslau
wird die bisher dem Propste von St. Hedwig in Berlin vorbehaltene Stelle
aufgehoben. In Hildesheim und in Fulda wird die Zahl der residierenden
Domkapitulare künftig fünf betragen. (8)
Eines der nichtresidierenden Mitglieder der Metropolitankapitel von Köln und
Breslau und des Kathedralkapitels von Münster soll der in dem betreffenden
Erzbistum oder Bistum bestehenden theologischen Fakultät entnommen werden. (9) Eine
in Zukunft etwa erforderlich erscheinende Neuerrichtung eines Bistums oder
einer Kirchenprovinz oder sonstige Änderung der Diözesanzirkumskription
bleibt ergänzender späterer Vereinbarung vorbehalten. Dieser Form bedarf es
nicht bei Grenzverlegungen, die lediglich im Interesse der örtlichen
Seelsorge entstehen. (10) Zur
Unterstützung des Diözesanbischofs wird in Zukunft den Erzbischöflichen
Stühlen von Köln, Breslau und Paderborn und den Bischöflichen Stühlen von
Trier, Münster und Aachen ein Weihbischof zugeteilt sein, der vom Heiligen
Stuhl auf Ansuchen des Diözesanbischofs ernannt wird. Nach Bedarf können in
derselben Weise für die genannten und andere Bistümer weitere Weihbischöfe
bestellt werden. Zum Sitz eines Weihbischofs wird ein anderer Ort als der
Sitz des Diözesanbischofs erst nach Benehmen mit der Preußischen
Staatsregierung bestimmt werden. Artikel 3 Unbeschadet der Bestimmungen des
Artikels 2 können kirchliche Ämter frei errichtet und umgewandelt werden,
falls Aufwendungen aus Staatsmitteln nicht beansprucht werden. Die staatliche
Mitwirkung bei der Bildung und Veränderung von Kirchengemeinden erfolgt nach
Richtlinien, die mit den Diözesanbischöfen vereinbart werden. Artikel 4 (1) Die Dotation der Diözesen
und Diözesananstalten wird künftig jährlich zwei Millionen achthunderttausend
Reichsmark betragen. Im einzelnen wird sie gemäß besonderer Vereinbarung
verteilt werden. (2) Die
Dienstwohnungen und die Diözesanzwecken dienenden Gebäude bleiben der Kirche
überlassen. Die bestehenden Eigentums- und Nutzungsrechte werden auf
Verlangen durch Eintragung in das Grundbuch gesichert werden. (3) Für
eine Ablösung der Staatsleistungen gemäß Artikel 138 Abs. 1 der Verfassung
des Deutschen Reichs bleibt die bisherige Rechtslage der Diözesandotation
maßgebend. Artikel 5 (1) Das Eigentum und andere
Rechte der öffentlich-rechtlichen Körperschaften, Anstalten und Stiftungen
der katholischen Kirche an ihrem Vermögen werden nach Maßgabe der Verfassung
des Deutschen Reichs gewährleistet (2)
Soweit staatliche Gebäude oder Grundstücke Zwecken der Kirche gewidmet sind,
bleiben sie diesen, unbeschadet etwa bestehender Verträge, nach wie vor
überlassen. Artikel 6 (1) Nach Erledigung eines
Erzbischöflichen oder Bischöflichen Stuhles reichen sowohl das betreffende
Metropolitan- oder Kathedralkapitel als auch die Diözesanerzbischöfe und
-bischöfe Preußens dem Heiligen Stuhle Listen von kanonisch geeigneten
Kandidaten ein. Unter Würdigung dieser Listen benennt der Heilige Stuhl dem
Kapitel drei Personen, aus denen es in freier, geheimer Abstimmung den
Erzbischof oder Bischof zu wählen hat. Der Heilige Stuhl wird zum Erzbischof
oder Bischof niemand bestellen, von dem nicht das Kapitel nach der Wahl durch
Anfrage bei der Preußischen Staatsregierung festgestellt hat, dass Bedenken
politischer Art gegen ihn nicht bestehen. (2) Bei
der Aufstellung der Kandidatenliste und bei der Wahl wirken die
nichtresidierenden Domkapitulare mit. Artikel 7 Zum Praelatus nullius und zum
Koadjutor eines Diözesanbischofs mit dem Rechte der Nachfolge wird der
Heilige Stuhl niemand ernennen, ohne vorher durch Anfrage bei der Preußischen
Staatsregierung festgestellt zu haben, daß Bedenken politischer Art gegen den
Kandidaten nicht bestehen. Artikel 8 (1) Die Dignitäten der
Metropolitan- und der Kathedralkapitel verleiht der Heilige Stuhl, und zwar
beim Vorhandensein zweier Dignitäten die erste (Dompropstei) auf Ansuchen des
Kapitels, die zweite (Domdekanat) auf Ansuchen des Diözesanbischofs, beim
Vorhandensein nur einer Dignität (Dompropstei oder Domdekanat) diese
abwechselnd auf Ansuchen des Kapitels und des Diözesanbischofs. (2) Die
Kanonikate der Kapitel besetzt der Diözesanbischofs abwechselnd nach Anhörung
und mit Zustimmung des Kapitels. Die Abwechslung findet bei residentialen und
nichtresidentialen Kanonikaten gesondert statt. (3) Die
Domvikarien besetzt der Diözesanbischof nach Anhörung des Kapitels. Artikel 9 (1) Angesichts der in diesem
Vertrag zugesicherten Dotation der Diözesen und Diözesananstalten wird ein
Geistlicher zum Ordinarius eines Erzbistums oder Bistums oder der Praelatura
nullius, zum Weihbischof, zum Mitglied eines Domkapitels, zum Domvikar, zum
Mitglied einer Diözesanbehörde oder zum Leiter oder Lehrer an einer
Diözesanbildungsanstalt nur bestellt werden, wenn er a) die deutsche Reichangehörigkeit hat, (2) Bei
kirchlichem und staatlichem Einverständnis kann von den in Abs. 1 zu a, b und
c genannten Erfordernissen abgesehen werden: insbesondere kann das Studium an
anderen deutschsprachigen Hochschulen als den zu c genannten anerkannt
werden. (3)
Mindestens zwei Wochen vor der beabsichtigten Bestellung eines Geistlichen zum
Mitglied eines Domkapitels oder zum Leiter oder Lehrer an einem
Diözesanseminar wird die zuständige kirchliche Stelle der Staatsbehörde von
dieser Absicht und, mit besonderer Rücksicht auf Abs. 1 dieses Artikels und
gegebenenfalls auf Abs. 2 des Artikels 12, von den Personalien des
betreffenden Geistlichen Kenntnis geben. Eine entsprechende Anzeige wird
alsbald nach der Bestellung eines Bistums-(Prälatur-)Verwesers, eines
Weihbischofs und eines Generalvikars gemacht werden. Artikel 10 (1) Die Diözesanbischöfe (der
Praelatus nullius) werden an die Geistlichen, denen ein Pfarramt dauernd
übertragen werden soll, die in Artikel 9 Abs. 1 zu a bis c und an die
sonstigen in der Pfarrseelsorge anzustellenden Geistlichen mindestens die
dort zu a und b genannten Anforderungen stellen. Für beide Fälle gilt Artikel
9 Abs. 2. (2) Im
Falle der dauernden Übertragung eines Pfarramts wird der Diözesanbischof
(Praelatus nullius) alsbald nach der Ernennung der Staatsbehörde von den
Personalien des Geistlichen, mit besonderer Rücksicht auf Abs. 1 dieses
Artikels, Kenntnis geben. Artikel 11 Bis zu einer neuen Vereinbarung,
insbesondere für den Fall des Erlasses des in Artikel 83 der Verfassung des
Freistaats Preußen vorgesehenen Gesetzes, wird die Präsentation auf Grund eines
sogenannten Staatspatronats durch die Staatsbehörde erst nach Benehmen mit
dem Diözesanbischof oder Praelatus nullius gemäß besonders zu vereinbarender
Anweisung geschehen. Artikel 12 (1) Für die wissenschaftliche
Vorbildung der Geistlichen bleiben die katholisch-theologischen Fakultäten an
den Universitäten in Breslau, Bonn und Münster und an der Akademie in
Braunsberg bestehen. Ihr Verhältnis zur kirchlichen Behörde regelt sich
entsprechend den für die katholisch-theologischen Fakultäten in Bonn und
Breslau geltenden Statuten. (2) Der
Erzbischof von Paderborn und die Bischöfe von Trier, Fulda, Limburg,
Hildesheim und Osnabrück sind berechtigt, in ihren Bistümern ein Seminar zur
wissenschaftlichen Vorbildung der Geistlichen zu besitzen. Der Unterricht an
diesen Seminaren wird ebenso wie den kirchlichen Vorschriften dem deutschen
theologischen Hochschulunterricht entsprechen. Die genannten Diözesanbischöfe
werden dem Preußischen Minister für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung von
den Statuten und dem Lehrplan der Seminare Kenntnis geben. Zu Lehrern an den
Seminaren werden nur solche Geistliche berufen werden, die für die
Lehrtätigkeit in dem zu vertretenden Fach eine den Anforderungen der
deutschen wissenschaftlichen Hochschulen entsprechende Eignung haben. Artikel 13 Die Hohen Vertragschließenden
werden eine etwa in Zukunft zwischen ihnen entstehende
Meinungsverschiedenheit über die Auslegung einer Bestimmung dieses Vertrages
auf freundschaftliche Weise beseitigen. Artikel 14 (1) Dieser Vertrag, dessen
deutscher und italienischer Text gleiche Kraft haben, soll ratifiziert und
die Ratifikationsurkunden sollen möglichst bald in Berlin ausgetauscht
werden. Er tritt mit dem Tag ihres Austausches in Kraft. (2)
Gleichzeitig mit dem Inkrafttreten dieses Vertrages treten die seinen
Bestimmungen entgegenstehenden Gesetze und Verordnungen außer Kraft. Zu
Urkund dessen haben die Bevollmächtigten diesen Vertrag unterzeichnet. gez.
Eugenio Pacelli, Arcivescovo di Sardi, Nunzio Apostolico Schlußprotokoll Bei der Unterzeichnung des am
heutigen Tage geschlossenen Vertrages des Freistaats Preußen mit dem Heiligen
Stuhle haben die ordnungsmäßig bevollmächtigten Unterzeichneten folgende
übereinstimmende Erklärungen abgegeben, die einen integrierenden Bestandteil
des Vertrages selbst bilden. Zu Artikel 4 Absatz 1 Satz 1 Bei Bemessung der Dotation ist
von dem derzeitigen Stande der Aufwendungen des Preußischen Staates für
vergleichbare persönliche und sächliche Zwecke ausgegangen worden. Es besteht
Einverständnis darüber, daß in Zukunft hierin etwa eintretende Änderungen bei
der Dotation entsprechende Berücksichtigung finden sollen. Zu Artikel 9 Absatz 1 Buchstabe c Das an einer österreichischen
staatlichen Universität zurückgelegte philosophisch-theologische Studium wird
entsprechend den Grundsätzen gleichberechtigt, die für andere
geisteswissenschaftliche Fächer gelten werden. Zu Artikel 9 Absatz 3 Satz 1 Ein staatliches Einspruchsrecht
wird hierdurch nicht begründet. Zu Artikel 12 Absatz 1 Satz 2 Der Sinn des § 4 Ziffer 1 und 2
der Bonner und des § 48 Buchst. a und b der Breslauer Statuten ist folgender:
Bevor an einer katholisch-theologischen Fakultät jemand zur Ausübung des
Lehramts angestellt oder zugelassen werden soll, wird der zuständige Bischof
gehört werden, ob er gegen die Lehre oder den Lebenswandel des
Vorgeschlagenen begründete Einwendungen zu erheben habe. Die Anstellung oder
Zulassung eines derart Beanstandeten wird nicht erfolgen. Die der
Anstellung (Abs. 1) vorangehende Berufung, d.h. das Angebot des betreffenden
Lehrstuhls durch den Minister für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung, wird
in vertraulicher Form und mit dem Vorbehalt der Anhörung des Diözesanbischofs
geschehen. Gleichzeitig wird der Bischof benachrichtigt und um seine Äußerung
ersucht werden, für die ihm eine ausreichende Frist gewährt werden wird. In
der Äußerung sind die gegen die Lehre oder den Lebenswandel des
Vorgeschlagenen bestehenden Bedenken darzulegen; wie weit der Bischof in
dieser Darlegung zu gehen vermag, bleibt seinem pflichtmäßigen Ermessen
überlassen. Die Berufung wird erst veröffentlicht werden, nachdem der Bischof
dem Minister erklärt hat, dass er Einwendungen gegen die Lehre und den
Lebenswandel des Berufenen nicht zu erheben habe. Sollte
ein einer katholisch-theologischen Fakultät angehöriger Lehrer in seiner
Lehrtätigkeit oder in Schriften der katholischen Lehre zu nahe treten oder
einen schweren oder ärgerlichen Verstoß gegen die Erfordernisse des
priesterlichen Lebenswandels begehen, so ist der zuständige Bischof
berechtigt, dem Minister für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung hiervon
Anzeige zu machen. Der Minister wird in diesem Fall, unbeschadet der dem
Staatsdienstverhältnis des Betreffenden entspringenden Rechte, Abhilfe leisten,
insbesondere für einen dem Lehrbedürfnis entsprechenden Ersatz sorgen. Zu Artikel 12 Absatz 2 Satz 4 Die Eignung wird hauptsächlich
durch eine der akademischen Habilitationsschrift entsprechende
wissenschaftliche Arbeit nachgewiesen: sofern diese von besonderer
wissenschaftlicher Bedeutung ist, kann von dem Erfordernis der theologischen
Promotion abgesehen werden. Berlin, den 14. Juni 1929 gez.
Eugenio Pacelli, Arcivescovo di Sardi, Nunzio Apostolico |